Während des pandemiebedingten Lockdowns großer Teile der Weltwirtschaft schossen die Zentralbanken Liquidität in beispiellosem Umfang in das Bankensystem und die Anleihemärkte ein. Dadurch erreichten die Bilanzsummen der Bank of Japan, der Bank of England, der Bank of Canada, der Europäischen Zentralbank und der US Federal Reserve (Fed) – gemessen am BIP – ihren historischen Höchststand (Abbildung 1).
Die Ausweitung erfolgte größtenteils zwischen März und Juni; seitdem sind die Ankäufe stark zurückgegangen, besonders in den USA. Zwischen Mitte März und Mitte Juni weitete die Fed ihre Bilanz um USD 3 Billionen aus. Inzwischen gab sie bekannt, dass sie weitere Ankäufe auf rund USD 25 Milliarden pro Monat reduzieren werde – was viel erscheinen mag, tatsächlich aber eine Kürzung von 97,5 % gegenüber der Wachstumsrate in der Zeit zwischen März und Mai bedeutet (Abbildung 2).
Es ist zu früh, um zu beurteilen, ob sich die Ausweitung der Bilanzen auf die Verbraucherpreise auswirken wird, doch wenn man von der Erfahrung mit den quantitativen Lockerungsmaßnahmen (QE) der letzten zehn Jahre ausgeht, dürfte der Effekt minimal sein. Mit den Preisen von Vermögenswerten verhält es sich anders: Sie haben sehr stark auf den Anstieg der Zentralbankkredite reagiert, besonders die Preise von Gold, Silber sowie Tech-Aktien, wie die, die den Nasdaq 100 Index stark prägen.
Seitdem tendierten alle drei Märkte schwächer. Bis Ende September hatte Gold um 10,5 % gegenüber seinem Höchststand nachgegeben, der Nasdaq 100 fiel um 14 % und Silber war um 26 % rückläufig (Abbildung 3). Nach der enormen Aufwärtsbewegung könnte es sich lediglich um Korrekturen handeln.
Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit: Alle drei Märkte könnten von der Bilanzausweitung der Fed angetrieben worden sein. Als die Fed (und in geringerem Maße die anderen Notenbanken) das Tempo der quantitativen Lockerung bremsten, haben die Märkte wieder an Schwung verloren. Für diese Deutung sprechen zwei Faktoren:
Die starke Aufwärtsbewegung bei Gold, Silber und Tech-Aktien setzte fast genau zu dem Zeitpunkt ein, als die Fed damit begann, ihre Bilanz auszuweiten. Als die Fed die quantitative Lockerung im Juni um 97,5 % zurückfuhr, hielt die Rallye in diesen Märkte zwei bis drei Monate an, bevor es schließlich zu einer Korrektur kam.
Auch für das Timing gilt, dass Korrelation nicht gleich Kausalität ist. Andererseits müssen USD 3 Billionen an neu geschöpftem Geld irgendwo hinfließen. Die Fed investierte das Geld in den Anleihemarkt, kaufte US-Staatsanleihen, Hypotheken sowie Unternehmens- und Kommunalanleihen und deckte dabei das gesamte Laufzeitspektrum ab. Seit Juni beschränkt die Fed jedoch den Ankauf auf US-Staatsanleihen und Hypothekenanleihen.
Die Auswirkungen der Fed-Anleihenkäufe ist an der Zinsstrukturkurve abzulesen: Als die Dotcom-Blase in einer Rezession endete und die Fed darauf 2001 und 2002 mit Zinssenkungen reagierte, wurde die Zinskurve so steil, dass die Differenz zwischen Schatzwechseln (T-Bills) mit dreimonatiger Laufzeit und Staatsanleihen (Treasuries) mit einer Laufzeit von 30 Jahren happige 350 Basispunkte betrug. 2009 stellte sich ein ähnlicher Zinsabstand zwischen diesen Laufzeitenbereichen ein; dieser ging aber in den folgenden fünf Jahren zurück, in denen die Fed ihre Bilanz ausweitete. Diesmal beträgt die Differenz zwischen T-Bills und dreißigjährigen US-Treasuries nur ungefähr 140 Basispunkte. Anders gesagt: Durch die starke Ausweitung ihrer Bilanz scheint die Fed die Zinskurve abgeflacht zu haben (Abbildung 4)
Niedrigere langfristige Renditen bedeuten, dass Anleger, die ein höheres Durationsrisiko eingehen, dafür keinen nennenswerten Renditeausgleich mehr erhalten. Tatsächlich sind viele Papiere mit langer Duration, die normalerweise am Markt gehandelt würden, in den Bilanzen der Zentralbanken geparkt. Daher sahen sich Anleger woanders nach interessanten Renditen um, z. B. im Aktienmarkt. Und nicht zuletzt: Gleichzeitig mit den Haushaltsdefiziten wuchsen die Bilanzen der Zentralbanken, sodass Anleger sich – wohl aus Sorge um die Wertbeständigkeit der Fiat-Währungen – verstärkt an den Edelmetallmärkten engagierten (Abbildung 5).
2015 führte die CME Group S&P 500® Annual Dividend Futures ein. Zunächst gab es nur sechs Kontrakte – für das laufende Jahr und die fünf Folgejahre. 2017 wurde das Angebot auf 11 Kontrakte für das laufende Jahr und die 10 Folgejahre erweitert. Wenn man den Nominalwert der erwarteten Dividenden der nächsten 10 Jahre summiert und dem S&P 500® gegenüberstellt, zeigt sich, dass der Wert der Dividenden der nächsten 10 Jahre seit Anfang 2017 stagniert, indes die Aktienkurse deutlich angestiegen sind (Abbildung 6).
Die Finanztheorie lehrt, dass der Aktienmarkt vom Nominalwert der künftigen Dividenden nicht beeinflusst werden sollte. Vielmehr sollte der Markt auf den Nettobarwert (NPV) der künftigen Dividenden reagieren, wobei die Zinssätze, mit denen die Dividenden auf die Gegenwart abgezinst werden, den jeweiligen Laufzeiten entsprechen. Zwischen Januar 2017 und März 2020 entwickelten sich der S&P 500 und der NPV künftiger Dividenden größtenteils im Gleichschritt. Der NPV der Dividenden nahm zu, weil die langfristigen Zinsen sogar schon vor dem Ausbruch der Pandemie sanken. Niedrigere langfristige Zinssätze führen zu einem höheren NPV künftiger Zahlungsströme.
Merkwürdig ist jedoch, dass auch diese Beziehung seit März nicht mehr intakt ist. Der NPV der Dividenden hat sich kaum verändert, während die Aktienkurse bis Anfang September kräftig stiegen (Abbildung 7). Die Kluft zwischen den Aktienkursen und dem NPV der Dividenden kann sich auf eine von drei Arten wieder schließen:
Die Divergenz der Aktienkurse zum NPV künftiger Dividendenausschüttungen könnte auch eine Folge der jüngsten weltweiten Runde quantitativer Lockerungsmaßnahmen sein. Schließlich entwickelten sich der NPV künftiger Dividenden und die Aktienkurse bis März im Gleichschritt, um danach erstmals in der relativ kurzen Geschichte dieser Betrachtungsweise auseinanderzustreben.
Wir legen Dividenden-Futures auf den S&P 500 zugrunde, weil es ein derartiges Instrument für andere Indizes nicht gibt. Der S&P 500 selbst, wie auch der Russell 2000, ist der Entwicklung der Verbraucherausgaben im Jahr 2020 bisher eng gefolgt. Das gilt nicht für den Nasdaq 100 Index, der mit seiner starken Gewichtung von Tech-Aktien der große Gewinner war (Abbildung 9). Angesichts des Zusammentreffens von Pandemie (die die für Technologieunternehmen vorteilhaften Trends dramatisch verstärkte), quantitativer Lockerung und sehr viel höheren Haushaltsdefiziten dürften Anleger zum Schluss gekommen sein, dass die von den Zentralbanken zusätzlich erzeugte Liquidität am besten in Edelmetalle und Technologiewerte investiert werden sollte – zwei Vermögenswertklassen, die normalerweise nicht stark korrelieren.
Dies wirft schwierige Fragen für Zentralbanker wie auch für Anleger auf:
Die Antworten zu diesen Fragen kennen wir nicht, doch sie dürften sich in den kommenden Monaten und Jahren offenbaren. Derweil zeigen sich die Anleger nervös. In den letzten Monaten waren Optionen auf den Nasdaq 100 und besonders auf Silber ungewöhnlich teuer. Einige Marktteilnehmer sind also bereit, hohe Prämien zu zahlen, um sich gegen negative Preisbewegungen abzusichern (Abbildungen 10 und 11).
Alle in diesem Bericht dargestellten Beispiele sind hypothetische Interpretationen und werden nur zu Erläuterungszwecken verwendet. Die in diesem Bericht dargestellten Sichtweisen sind ausschließlich die Meinung des Autors, nicht notwendigerweise der CME Group oder ihrer verbundenen Unternehmen. Dieser Bericht und die darin enthaltenen Informationen sind nicht als Anlageberatung oder als Ergebnis tatsächlicher Markterfahrungen aufzufassen.
Erik Norland ist Executive Director und Senior Economist der CME Group und somit für die wirtschaftlichen Analysen der globalen Finanzmärkte verantwortlich. Dabei identifiziert er aufkommende Trends, bewertet wirtschaftliche Faktoren und prognostiziert deren Auswirkungen auf die CME Group und ihre Geschäftsstrategie sowie auf die Anleger, die an den verschiedenen Märkten des Unternehmens handeln. Er ist außerdem einer der Sprecher der CME Group für Themen, die die globale wirtschaftliche, finanzielle und geopolitische Lage betreffen.
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